Marie genießt das Leben

Nach dieser glücklichen Wendung in Maries Leben taucht sie wieder ins Leben in Berlin ein. Der nächste Brief datiert vom Oktober 1928 und beschreibt was Marie in ihrer Freizeit so macht.

 

Meine liebe Bärbel,

 

es ist schade, daß mein Schatz in Wien weilt. Ich sehne mich sehr nach ihm.

 

Neben meinem täglichen Arbeitsrhythmus in der Bank und dem Tanzen habe ich jeden Sonntag für mich das Kino entdeckt. Die stummen Filme unterhalten mich gut; die Inhalte regen oft zum Träumen an und lenken einen von dem Alltagsstress ab. Besonders angetan bin ich von Harry Liedtke und von Henny Porten, von denen ich keine Filme verpasse. Auch wenn im Film gut getanzt wird, schlägt mein Herz höher.

 

Darauf zugeschnitten ist das Lied "Wenn ich Sonntags in mein Kino geh'" aus dem Ufa Film "Ich bei Tag und du bei Nacht" aus dem Jahr 1932. Den Song komponierte Werner R. Heymann und der Text stammt von Robert Gilbert, dem Bruder des bekannten Komponisten Jean Gilbert. Frau ... legen Sie los.

 

Weiter führt Marie aus: Für den Abend zu Hause habe ich mir ein kleines Radio geleistet und denke dabei immer, über die Radiowellen mit meinem Andeas verbunden zu sein - vor allem wenn ein Liebeslied kommt.

Ich beschäftige mich auch viel mit Österreich und Wien, um die Heimat von Andreas noch besser kennenzulernen.

 

Über die Fotos, die Du von Deinem Mann und Dir und Eurem Kleinen geschickt hast, habe ich mich sehr gefreut. Insbesondere die Kleine sieht wie ein richtiger Wonnepfropfen aus. Ich kann kaum erwarten, die Kleine bald kennenzulernen.

 

Liebe Bärbel, jetzt wartet das Tanzstudio auf mich. Viele liebe Grüße von Deiner Marie.

 

Den neuen Kommunikationsmitteln - wie dem Radio - waren in den 1920er Jahren auch einige Schlagertexte gewidmet. Herr ... singt uns aus der Revue "Von A bis Z" die 1. Strophe von dem Lied "Zu Haus mein Grammophon" vor.

 

Nachrichtlich die Texte der Schlager:

 

1. "Wenn ich Sonntags in mein Kino geh"

 

Grau, ist die Woche die ich Montags überschau,

auch die nächste Woche wieder ist genau so flau man hat vom Leben fast nichts.

Wann fängt denn bloß das schöne Leben für mich an,

was mir bleibt in trüben Tagen ist nur dann und wann ein kleiner Schimmer des Lichts.

 

Refrain:

Wenn ich Sonntags in mein Kino geh, und im Film die feinen Leute seh',

denk ich immer wieder: könnt' ich mal, ach könnt ich mal genau so glücklich sein!

Alle Tage Sekt und Kaviar und ein Auto und ein Schloß sogar,

so was wünsch ich mir schon lang in meinen kühnsten Traume rein!

Auf dem fünfundsiebzig Pfennig-Platz, sehn ich mich nach einem süßen Schatz,

der genau so wie im Film am Schluß mich glücklich machen muß!

Wenn ich Sonntags in mein Kino geh', und den Himmel voller Geigen seh',

träum ich noch am Montag früh: Einmal leben so wie die, doch zu sowas kommt man nie!

 

Klar! Jeder Mensch wär gern im Leben einmal Star;

aber leider sind die schönsten Märchen garnicht wahr, und alles sieht nur so aus.

Schön sind die Hummern und Austern anzusehn,

aber nach dem Happy-end da muß man gehn, dann stehn die Schlackwurststullen zu Haus.

 

Refrain

 

2. "Zu Haus mein Grammophon", 1. Strophe

 

Jedes Menschen Glück hinnieden ist von Fall zu Fall verschieden,

einer liebt Klimbin, Klamauk, Radau. Der gibt an mit viel Getue,

doch der andre liebt die Ruhe, sitzt zu Haus, knutscht rum und denk sich schlau:

 

Zu Haus mein Grammophon, das macht Musike,

die Platten hab' ich schon, was sagste nu.

Ich rück' ganz dicht zu Dir und bin ganz stieke,

denn wenn Caruso singt, dann hört man meistens zu.

Zu Haus mein Grammophon, das macht Musike,

und manchmal tanz ich auch, das wird so nett,

und wenn ich selig Dir in's Auge kieke,

singt der Jadlowker: "Hab' ein blaues Himmelbett."