Titel: "Der Vorschuß auf die Seligkeit", Lied aus der Revue "Auf in's Metropol!", Metropoltheater, Berlin                 

Komponist: Victor Hallaender

Texter: Julius Freund

Verlag: Ed. Bote & G. Bock, Berlin

Erscheinungsjahr: 1905

Druckerei: C.G. Röder GmbH, Leipzig

Graphiker: Keine Angabe

Sammlungsnummer: 1274

 

Die Jahresrevue "Auf ins Metropol" folgte 1905 auf "Ein tolles Jahr". Wieder hatte Direktor Schultz ein Programm zusammengestellt, das erstens Ausländer, zweitens Provinzler, die ihre Hauptstadt besuchten, und drittens das Stammpublikum aus der bürgerlichen bis adeligen Gesellschaft einschließlich ihrer Lebe- und Halbwelt ansprach (Quelle: Franz-Peter Kothes, Die theatralische Revue in Berlin und Wien).

 

Exemplarisch sollen aus der Revue zwei Songs vorgestellt werden; zunächst "Der Vorschuß auf die Seligkeit", den Josef Josephi vortrug:

 

Wenn wirklich die Lieb' eine Sünde wär', von Beelzebub selber erdacht,

dann hätte der Herrgott wohl nimmermehr die Frauen so reizend gemacht!

Nicht die Hüften so rund und die Taille so fein, nicht die Wangen so rot und so weiß,

nicht die Händchen so schmal und die Füßchen so klein und die Augen so groß und so heiß! 

Glaubt ja nicht, was der Mukker lehrt, im Gegenteil, 's ist umgekehrt!

Ein Kuß, geküßt von Lippen süß und weich, ist grad' ein Zipfelchen vom Himmelreich,

die ganze Lieb' ist in der Erdenzeit ein kleiner Vorschuß, ein kleiner Vorschuß auf die Seligkeit!

 

Auch wenn euch der Grämling vom Wein verjagt, verbietet ihm lachend den Mund,

der Herrgott hat selber zur Sonne gesagt: "Mach' die Reben schön reif und schön rund!"

Wenn lieblich der Tropfen von Mosel und Rhein aus dem Fläschchen ins Gläschen fließt,

dann ladet der Himmel euch selbst dazu ein, daß ihr euch das Näschen begießt!

Ein Spitz ist nie des Teufels Werk, und käm' er selbst aus Grüneberg!

Solch Rausch, der uns fast macht den Göttern gleich, ist auch ein Zipfelchen vom Himmelreich,

im Gold der Reben blinkt euch allezeit ein kleiner Vorschuß, ein kleiner Vorschuß auf die Seligkeit!

 

Ihr findet den Weg in den Himmel hinein, wenn ihr euch nur leidlich geführt,

das muß schon ein riesiger Taugenichts sein, der den alten Sankt Peter nicht rührt;

und wenn ihr auch schmort in der Hölle, o Schreck! ein Trost bleibt euch doch nicht verwehrt,

den Vorschuß, den nimmt euch kein Teufel mehr weg, den habt ihr schon unten verzehrt!

Drum folgt dem Rat, den euch zum Schluß erteilt der alte Practikus:

Seid ja nicht schüchtern, Leut', ich sag's euch gleich, packt nur die Zipfelchen vom Himmelreich,

da oben ist getilgt in kurzer Zeit der kleine Vorschuß, der kleine Vorschuß auf die Seligkeit!

 

Das nächste Lied lautet "Du mein altes Berlin!", das wieder von Josef Josephi gesungen wurde:

 

Mit neuen Moden kommt die neue Zeit,

Berlin schlüpft ganz in ein modernes Kleid,

was einst voll Schönheit uns gefangen nahm,

wird abgetan, als wär's nur Lumpenkram!

Erst neulich trieb man aus dem Schauspielhaus

den Stil der alten guten Zeit heraus,

und jetzt, das Herz blutet, wenn ich's seh',

fällt auch mein altes herrliches Palais!

Was Schinkel gebaut, was die Linden ziert,

wo einst Urberliner voll Stolz residiert,

nun wird's ein Hotel, das nur Fremde bezieh'n

so schwindest du hin, du mein altes Berlin!

Du mein altes Berlin!

 

Beim Goldfischteich da steht ein alter Baum,

wo ich geträumt den ersten Liebestraum,

beim ersten Kuß, beim ersten trauten "Du",

und eine Drossel sang ihr Lied dazu!

Für tausend Jahre schien der Baum gemacht,

doch, ach, die Axt an seinen Wurzeln kracht,

wie er zu Boden sank, hab ich gesehn,

sein letztes Rauschen konnt' ich wohl verstehn:

An Schatten und Schönheit barg ich einen Schatz,

doch ein Prinzlein aus Marmor, das raubt' mir den Platz,

obgleich Gott auch mir eine Krone verlieh'n

so schwindest du hin, du mein altes Berlin!

Du mein altes Berlin!

 

Wollt' man am Sonntag einst hinaus vors Tor,

da fuhr ein Kremser mit zwei Gäulen vor,

die Frauen hatten sich in mancher Nacht

die weißen Fähnchen vorher selbst gemacht;

so fuhr man stolz bei einer Wirtschaft 'ran,

wo die Familie Kaffee kochen kann,

im Gras die Stullen schmeckten gar nicht dumm,

dann ging's per Polka um die Säule rum!

Heut nach den Terrassen geht's mit Eleganz,

mit Benzin fährt der Kremser, und Abends beim Tanz

hopst Mutter selbst Cakewalk mit heißen Bemüh'n

so schwindest du hin, du mein altes Berlin!

Du mein altes Berlin!

 

Besonders tut's dem Urberliner leid

um die Lokale aus der alten Zeit,

wo man in Dunst und Rauch behaglich saß,

oft sechs Mann hoch bei einem Weißbierglas;

kein alter Siechen grüßt mehr mit Humor,

kein Dressel setzt uns mehr den Rotspon vor,

's Bierstübchen, das zum Altberliner paßt,

hat sich gewandelt längst zum Bier-Palast!

Französisch die Karte, aus der man serviert,

aus England die Möbel direkt importiert,

's Orchester aus Ungarn, die Kellner aus Wien!

So schwindest du hin, du mein altes Berlin!

Du mein altes Berlin!

 

Mit Groschen, die er schwer sich abgekargt,

zog der Berliner einst zum Weihnachtsmarkt,

da stürmten hundert Kleinchen gleich heran

mit Lämmchen, Brummer und mit Hampelmann;

eh' man zu Hause Baum und Tisch geschmückt,

war manches arme Kinderherz beglückt;

heut haben Tietz und Wertheim, ich erkenn's,

besiegt selbst diese kleine Konkurrenz!

Vorüber der Markt und sein harmloses Glück.

Ruft heut so ein Bürschchen: Een Jroschen det Stück!

dann stürmt man vorbei, keiner achtet auf ihn

so schwindest du hin, du mein altes Berlin!

Du mein altes Berlin!

 

Am Jägerstraßeneck steht ein Cafe,

das beim Provinzler hatte viel Succès,

vor Freude strahlte so ein fremder Mann,

wenn es erklang: Na, Dickchen, komm' mal ran!

Daraus wird bald ein Aschinger-Lokal,

wo man sein Brötchen futtert mit Moral.

Im Cafe gibt's 'nen letzten Abschiedsschmaus,

dann dreht der Schani stumm die Lichter aus!

Die Schönen verschwinden, gefragt wird nicht viel,

doch ein Jüngling möcht' wissen ihr neues Asyl,

und da fragt er die Jüngste mit schüchterner Mien':

Wo schwindest du hin, du mein altes Berlin!

Du mein altes Berlin!